Kapitel 2.11
FragDenStaat
Das Projekt
In einer Demokratie ist es notwendig, dass sich Bürger:innen frei über Regierungshandeln informieren können. Mit dem Informationsfreiheitsgesetz hat jede Person das Recht, Dokumente bei Behörden anzufragen. Mit der Online-Plattform FragDenStaat unterstützen wir Bürger:innen dabei, ihr Recht auf Zugang zu Informationen von deutschen Behörden wahrzunehmen. Bürger:innen müssen sich nicht mehr durch den Gesetzesdschungel der Bundesländer und des Bundes arbeiten, um eine Anfrage zu stellen. Anfragen und Antworten erscheinen transparent online. Schon im Jahr der Gründung des Projekts hat sich die Anzahl der Informationsanfragen in Deutschland verdoppelt. FragDenStaat ist aber nicht nur eine Software – wir wollen die Informationsfreiheit als solche in Deutschland nach vorne bringen. Hierzu entwickeln wir eigene Kampagnen, unternehmen eigene Recherchen, entwickeln ein Transparenzranking und führen Klagen durch.
Was ist 2022 passiert?
Ressourcen
Laufzeit
Das Projekt läuft seit August 2011.
Budget
2022
Einnahmen: 1.542.771 €
Ausgaben: 810.164 €
davon Personalausgaben: 543.181 €
davon Sachausgaben: 266.983 €
2021
Einnahmen: 664.543 €
Ausgaben: 536.646 €
davon Personalausgaben: 366.024 €
davon Sachausgaben: 170.622 €
Personal
Projektleitung: Arne Semsrott
Entwickler:in: Stefan Wehrmeyer / Magdalena Noffke mit den studentischen Hilfskräften Karl Engelhardt / Max Kronmüller
Studentische Hilfskraft und Campaignerin: Lea Pfau
Head of Operations: Judith Doleschal: Öffentlichkeitsarbeit: Leonie Gehrke / Isa Lachmann / Monica Phương Thúy Nguyễn
Lega-Team: Hannah Vos / Vivian Kube / Sebastian Sudrow / Philipp Schönberger mit Rechtsreferendar:innen Clara Willeke / Lorenz Dudew
Investigativ-Team: Vera Deleja-Hotko / Aiko Kempen
Leitung Brüsseler Büro: Luisa Izuzquiza
Studentische Hilfskraft und Bundesfreiwilligendienstleistende: Melek Bazgan
Bundesfreiwilligendienstleistende: Tiziana Saab
ehrenamtliche Arbeit
ca. 400 h durch unsere fünf Moderator:innen sowie das ehrenamtliche Legal-Team mit sieben jungen Jurist:innen
Partner:innen
foodwatch, Pro Asyl, Campact, Mehr Demokratie, Gesellschaft für Freiheitsrechte, Deutsche Gesellschaft für Informationsfreiheit, Reporter ohne Grenzen, Chaos Computer Club, netzwerk recherche, Access Info, abgeordnetenwatch.de
Förderung
Spenden, Luminate, Schöpflin Stiftung, Alfred Landecker Foundation, Bertha Foundation, Stichting NLnet, Adessium, Medieninnovationszentrum Babelsberg, Wikimedia, sonstige
inhaltliche Schwerpunkte
Im Jahr 2022 ist das FragDenStaat-Team weiter gewachsen. Im Bereich der Öffentlichkeitsarbeit wird das Team nun von zwei weiteren Mitarbeiterinnen verstärkt. Auch das Legal-Team sowie das Investigativ-Team durften sich jeweils über neue Mitarbeitende freuen. Mit den neuen Klagen hat FragDenStaat inzwischen insgesamt 142 Klagen eingereicht. Hinzu kamen beispielsweise Klagen auf EU-Ebene: Gemeinsam mit Seawatch klagte FragDenStaat gegen Frontex, zudem gegen das EU-Parlament aufgrund eines griechischen Nazi-Abgeordneten. Die hartnäckige Recherche inklusive Klagen von FragDenStaat trug mit zur Auflösung der Stiftung Klima- und Umweltschutz in Mecklenburg-Vorpommern bei. Durch den Bundesgerichtshof wurde endlich die Veröffentlichung des Glyphosat-Gutachtens als rechtmäßig erklärt. Außerdem urteilte das Bundesverwaltungsgericht nach unserer Klage, dass der wissenschaftliche Beirat des Finanzministeriums seine Protokolle öffentlich zugänglich machen muss.
FragDenStaat hat sich durch Aktionen und Kampagnen weitreichend für Transparenz eingesetzt. Gemeinsam mit Wikimedia Deutschland sowie anderen Organisationen hat FragDenStaat den Koalitionstracker gebaut und betreut. Dieser bietet die Live-Verfolgung der Regierungsarbeit hinsichtlich der Umsetzungen aller Versprechen der Ampel-Koalition. Die erschreckende Bilanz zeigt, wiewenig Vorhaben angegangen wurden. Aus diesem Grund hat auch FragDenStaat gemeinsam mit einem breiten Bündnis einen Entwurf für ein Bundestransparenzgesetz vorgelegt, um der Regierung Orientierung zu geben.
Nachdem das Verwaltungsgericht Berlin FragDenStaat nicht als Presse anerkannte, da sie die Recherchen nicht analog drucken ließen, reagierte FragDenStaat mit ihrem ersten Druckerzeugnis. Daraufhin wurde FragDenStaat der Pressestatus zuerkannt und bekam somit die Legitimation, sich bei Behördenauskünften auf die Pressefreiheit zu berufen.
Mit der neuen Kampagne „Wie ist die Lage?“ sollen die Lageberichte des Auswärtigen Amts allen zugänglich gemacht werden. Die Berichte erörtern, in welchen Ländern gravierende Gefahren drohen. Mithilfe von ProAsyl sowie der FragDenStaat-Community sollen Lageberichte angefragt und veröffentlicht werden, sodass Abschiebungen in solche Länder zukünftig von der Zivilgesellschaft verhindert werden können. Der bereits 2021 gestartete Klima-Helpdesk bewährte sich im Jahr 2022 weiterhin als effektive Unterstützung für Privatpersonen, Journalist:innen oder soziale Initiativen, die das Umweltinformationsgesetz für ihre Vorhaben nutzten.
Ein riesiger Erfolg war die Veröffentlichung der NSU-Akten gemeinsam mit dem ZDF Magazin Royale 120 Jahre früher als seitens der Behörden geplant, da diese eigentlich als Verschlusssache eingestuft waren. Eine weitere Folge beleuchtet das bürokratische Chaos der Ausländerbehörden und die damit einhergehenden Konsequenzen für alle, die darauf angewiesen sind. Zudem hat FragDenStaat die Brandenburger Landesregierung bezüglich des Vorhabens, ein Abschiebezentrum neben dem Berliner Flughafen zu bauen, ordentlich gelöchert. Durch das Brüsseler Büro konnte die finanzielle Beteiligung von EU-Mitgliedsstaaten an Frontex-Einsätzen dargelegt und der OLAF-Report geleakt werden.
Output
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Anfragen gesamt: 29.250 (VJ: 28.103)
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Aktive Nutzende gesamt: 117013 (VJ: 115142)
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Seitenansichten: 9 Millionen
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gewonnene Klagen: 16 (VJ: 17)
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Koalitionstracker macht Fortschritt der Ampel-Koalition transparent, ein Entwurf für Bundestransparenzgesetz im Bündnis, 2 Sendungen gemeinsam mit dem ZDF Magazin Royale sowie weitere neue Medienkooperationen, 2 wichtige Leaks, erste FragDenStaat-Zeitung gedruckt und 1.333 mal verschickt, 109 Artikel im Blog veröffentlicht
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Dokukratie.de macht zentrale Dokumente der Demokratie besser zugänglich, der Klageautomat lässt Nutzer:innen automatisiert prüfen, ob bei ihrer Anfrage eine Untätigkeitsklage möglich ist
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Veröffentlichung des ersten FragDenStaat Trailers: ➠FragDenStaats‘s Twenty
Outcome
Dank der ersten FragDenStaat-Summer School, Kampagnen sowie öffentlichkeitswirksamen Medienkooperationen konnten neue Zielgruppen für das Thema Informationsfreiheit sensibilisiert werden. Neue Seiten und Redesign stellen die Arbeit von FragDenStaat nun klarer dar. Gewonnene Klagen haben zu Grundsatzurteilen geführt und unser Klageautomat ermöglicht es jetzt jedem, ganz einfach Untätigkeitsklagen einzureichen. Durch Leaks wird FragDenStaat als vertrauensvolles Medium für Hinweisgeber:innen wahrgenommen. Die erhöhte Reichweite durch spannende Veröffentlichungen und die Aktion rund ums Druckerzeugnis führten auch zu erhöhten Spendeneinnahmen. Spender:innen der letzten Jahre blieben uns erhalten.
Impact
Ein durch Informationsfreiheit transparenter Staat stärkt Partizipation und erhöht die Qualität politischer Prozesse. Unsere Kampagnen ermutigen Menschen dazu, selbst Anfragen zu stellen, und macht Informationsfreiheit in Deutschland bekannter. Mit unseren Klagen erstreiten wir wegweisende Urteile und sorgen dafür, dass das Recht auf Informationsfreiheit effektiv durchgesetzt wird. Außerdem decken wir mit unseren investigativen Recherchen immer wieder Missstände auf und stoßen politische Veränderungen an. So hat die hartnäckige Recherche zur Stiftung Klima- und Umweltschutz in Mecklenburg-Vorpommern mit zu deren Auflösung beigetragen. Das Urteil zu unserem Pressestatus führte zu einer öffentlichkeitswirksamen Diskussion über das veraltete Presseverständnis unserer Gerichte. Der gemeinsame Leak der NSU-Akten mit dem ZDF Magazin Royale trägt zur Aufarbeitung des NSU bei. Die Brandenburger Landesregierung ist durch die Recherche von FragDenStaat in Erklärungsnöte zum ➠BER-Abschiebezentrum gekommen.
Evaluation
Maßnahmen werden regelmäßig intern evaluiert. Auf dem Blog und via Newsletter berichtet FragDenStaat beständig. Die Metriken zur Nutzung von FragDenStaat.de sind jederzeit über Matomo einsehbar.
Ausblick
2023 kann das Jahr der Transparenz werden. Mehrere Gesetzesvorhaben sind in der Pipeline, die FragDenStaat begleitet. Außerdem bleiben FragDenStaat an Frontex dran und auch die weitere Aufarbeitung des NSU-Komplex steht auf der Agenda. Darüber hinaus wird es neue Projekte geben wie ein Rechtsschutzfonds sowie eine Datenbank mit Gerichtsentscheidungen zur Presse- und Informationsfreiheit. Die FragDenStaat-Summer School findet ebenfalls wieder statt. Dazu arbeitet FragDenStaat an einigen großen Veröffentlichungen gemeinsam mit deutschen und internationalen Medien.
Wirkungskette
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Das Problem
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Zu wenige Personen nutzen ihr Menschenrecht auf Informationsfreiheit. Wenn Menschenrechte nicht genutzt werden, können sie schneller wieder abgeschafft werden.
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Mögliche Ursachen
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Mangelndes Wissen,
Das Informationsfreiheitsgesetz ist nur wenigen Menschen bekannt.
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komplizierte Handhabung und
In der Regel ist Menschen nicht klar, an wen wie Anfragen gestellt werden können und welche Rahmenbedingungen dafür gelten.
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widerspenstige Verwaltungen
Die Bearbeitung von Anfragen nach dem Informationsfreiheitsgesetz ist weitgehend unbeliebt. Viele Behörden blockieren aktiv den Zugang zu Informationen.
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führen dazu, dass
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Informationsfreiheit als demokratisches Grundrecht zu schwach ausgeprägt ist.
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die Durchsetzung der Informationsfreiheit aufgrund der geringen Nutzung zu schwierig ist
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Lösungsansatz
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einfache Anfragen online
Mithilfe von FragDenStaat.de können alle Menschen besonders einfach Anfragen an Behörden stellen. Der Ansatz ist niedrigschwellig, zusätzliche gibt es Tools für Journalist:innen und NGOs.
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transparente Darstellung
Alle Anfragen und Antworten darauf werden online dokumentiert und zeigen die Praxis der Informationsfreiheit in Deutschland. Davon können Bürger:innen und Behörden lernen. Die öffentliche Kontrolle wird verstärkt.
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laufende Berichterstattung
Das Team von FragDenStaat informiert aktuell über neue Fälle und Klagen und zeigt Erfolge und Probleme der Informationsfreiheit auf.
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Angestrebte Wirkung
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auf Bürger:innen
Mehr Menschen erkennen ihr Recht auf Informationsfreiheit.
Mehr Menschen nutzen das Recht.
Die Nutzung des Rechts führt zu mehr Partizipation im politischen Prozess.
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auf Verwaltungen
Die Praxis der Informationsfreiheit wird gestärkt, weil Verwaltungen anhand der Fälle Informationsfreiheit besser verstehen.
Verwaltungen befolgen das Informationsfreiheitsgesetz stärker und bei den Mitarbeiter:innen wird die Akteptanz für Informationsfreiheit gestärkt.
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auf Multiplikator:innen
Das Nutzen von Anfragen an Verwaltungen für NGO-Kampagnen und journalistische Projekte wird erhöht. Der Gesetzgeber gerät unter Druck, bestehende Regelungen bürger:innenfreundlicher zu gestalten.
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gesellschaftliche Wirkung
Durch die stärkere Nutzung der Informationsfreiheit wird das Menschenrecht gestärkt.
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