Kapitel 1.3
Policy Arbeit
Die politische Arbeit der OKF im Jahr 2022 fand unter sich wandelnden Rahmenbedingungen statt. Nach dem „Superwahljahr“ 2021 konstituierten sich eine neue Bundesregierung sowie sechs Landesregierungen, die mit neuen Strukturen, Akteur:innen und Schwerpunkten digitalpolitische Vorhaben diskutieren. Das Mittel der Stunde ist dabei die Entwicklung von Strategien. Digitalstrategie, Datenstrategie, Zukunftsstrategie – an Versuchen der strategischen Planung fehlt es nicht –, die Umsetzung wichtiger digitalpolitischer Vorhaben lässt allerdings weiter auf sich warten. Damit ein zentrales Anliegen der digitalen Zivilgesellschaft, die Einführung eines Transparenzgesetzes, in dieser Legislaturperiode endlich umgesetzt wird, legten wir einfach selbst einen ➠Entwurf für ein progressives Transparenzgesetz vor. Wir veröffentlichten bei FragDenStaat einen ➠Koalitonstracker, um zu verfolgen, welche der 247 konkreten Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag bisher umgesetzt wurden. Mit diesem Tool sind die unterschiedlichen Informationen, die bisher verstreut bei Ministerien, Arbeitsgruppen oder Gremien zu finden waren, gebündelt und durchsuchbar.
Ein Schritt in die richtige Richtung für mehr Transparenz ging die Bundesregierung mit der Einführung eines einsehbaren Lobbyregisters. Die OKF begrüßt deren Einführung und ist dort selbst unter der Registernummer R000405 eingetragen. Uns freut es insbesondere, dass die Daten des Lobbyregisters als Open Data zur Verfügung gestellt werden. Dennoch übten wir auch ➠Kritik am Lobbyregister: Die dringlichste inhaltliche Erweiterung ist die Ergänzung des legislativen und exekutiven Fußabdrucks, um transparent zu machen, welche Akteur:innen an politischen Vorhaben, wie zum Beispiel Gesetzesentwürfen, mitwirken. Das Lobbyregister wirft zudem eine wichtige Grundsatzfrage bei gemeinnützigen Organisationen auf: Wie politisch darf man sein? Das politische Engagement von gemeinnützigen Organisationen muss durch eine Reform des Gemeinnützigkeitsrechts endlich auf rechtssichere Füße gestellt werde. Der Entzug der Gemeinnützigkeit darf nicht als Mittel missbraucht werden, kritische Stimmen unter Druck zu setzen.
Eng verbunden mit Transparenz ist ein weiteres Kernthema der OKF: Open Data. Die transparente Bereitstellung von amtlichen Informationen und öffentlichen Daten (nicht-personenbezogen) sind die wichtigsten Hebel, um eine offene Regierungsführung umzusetzen. Wir möchten uns mit diesem Kernthema der OKF wieder verstärkt in den gesellschaftlichen Diskurs einbringen und unsere Expertise im Bereich Open Data zur Verfügung stellen. Im Jahr 2022 haben wir das im Rahmen des Open-Data-Dialogs Hessen, in dem wir die aus unserer Sicht wichtigsten Punkte für ein Open-Data-Gesetz und dessen Implementierung in den Prozess einbrachten, sowie durch unsere Unterstützung der neuen ➠Open Data Strategie für Berlin, bereits umgesetzt. Ende des Jahres startete unser neues Projekt ➠Offene Verwaltungsdaten. Gemeinsam mit Open-Data-Community-Aktivist:innen wollen wir einen Open Data Knowledge Hub aufbauen, Expertise für Behörden zur Verfügung stellen, verwaltungsnahe Use Cases erarbeiten und praktische Open Data Tools in die breite Nutzung bringen.
Auch im Bereich Open-Source-Software waren wir politisch aktiv. Die Sicherheit und Qualität offener Softwarekomponenten wird maßgeblich mitbestimmen, wie resilient und wettbewerbsfähig das Software-Ökosystem in Deutschland und Europa in Zukunft sein wird. Aus diesem Grund ist die nachhaltige Unterstützung von Open-Source-Basistechnologien essentiell. Wir begrüßten die Schwerpunktsetzung im Koalitionsvertrag, die Digitalisierung in Deutschland souverän, innovativ und nachhaltig zu gestalten – um mit umso mehr Unverständnis festzustellen, dass dafür keine Mittel im Bundeshaushalt vorgesehen waren. In einem Offenen Brief an die Regierungsparteien forderten wir die Finanzierung des Sovereign Tech Fund ein. Der Haushalt wurde im Nachgang angepasst, sodass der neue Fund seine Arbeit aufnehmen konnte. Aber dennoch: Mit staatlichen Geldern alleine ist es nicht getan. Um Open-Source-Technologie, Open Data & Co endlich zum Standard zu machen, braucht es mehr – was genau und welche Rolle die Zivilgesellschaft dabei spielt, diskutierten wir auf einem ➠Panel der re:publica 2022.
In Sachen elektronische Gesetzgebungsverfahren ging es 2022 langsam voran. Der Bundestag hatte die elektronische Verkündung von Gesetzen auf einer neuen Verkündungsplattform beschlossen. Die OKF beteiligte sich am Gesetzgebungsverfahren mit einer ➠schriftlichen Stellungnahme und mündlichen Anhörung. Dabei fand ein enger Austausch mit anderen zivilgesellschaftlichen Organisationen statt. Generell bewerten wir das neue Gesetz positiv, da es die digitale Transformation der Verwaltung beschleunigt. Doch – wie so oft – fehlt auch hier eine ganzheitliche Perspektive und eine Bereitstellung der Daten, die den Anforderungen von Open Data entsprechen. Die bisherige Plattform muss dringend weiterentwickelt werden.
Kritisch begleiteten wir auch Entwicklungen im Bereich des digitalen Ehrenamts. Im Konflikt um das Verschwörhaus Ulm (das sich jetzt nicht mehr so nennen darf), unserem langjährigen Partner in Sachen Jugend hackt Labs, Open Data und bürgerschaftliches Engagement im Digitalen, drückten wir unsere Besorgnis mit einer Mitteilung an den Oberbürgermeister und die Mitglieder des Gemeinderats aus. Ehrenamtliche leisten einen immensen Beitrag für die Gesellschaft – Digitale Ehrenamtliche sind wie ihre nicht digitalen Kolleg:innen, Gestalter:innen und Betreiber:innen öffentlich zugänglicher Infrastruktur, die unser Leben erleichtert. Die OKF unterstützt einige dieser Projekte des digitalen Engagements und Ehrenamts und möchte alle motivieren, an der Gestaltung des digitalen Zusammenlebens mitzuarbeiten. Zum ➠Tag des Ehrenamts veröffentlichten wir eine Übersicht über unsere vielfältigen Projekte.
Die Digitalisierung muss dem sozialökologischen Wandel dienen. Mit diesem Appell und mit insgesamt mehr als 60 thematischen Forderungen wendeten wir uns gemeinsam mit 13 Organisationen aus Umwelt-, Klima- und Naturschutz, Digitalpolitik, Entwicklungszusammenarbeit und Wissenschaft an politische Akteur:innen. Anlass dazu bot die ➠Bits & Bäume-Konferenz, in dessen Trägerkreis die OKF sich engagierte. Die Konferenz, mit mehr als 2500 Teilnehmenden, zeigte den Beitrag, den die Zivilgesellschaft bei der Lösung großer gesellschaftlicher Fragen leistet. Diese fachliche Expertise muss deutlich mehr in politische Prozesse eingebunden werden!
Digitale Nachhaltigkeit und nachhaltige Digitalisierung kommen nicht ohne reparierbare, nachvollziehbare und reproduzierbare Technologien aus. Umso problematischer ist es, dass unsere Alltagstechnik sich im Laufe der Zeit immer mehr zu einer Blackbox entwickelte. Aus diesem Grund starteten wir ein neues Projekt: den ➠Prototype Fund Hardware. In der ersten Runde förderten wir sechs Projekte. Offene, transparente Technologien wirken sich nicht nur positiv auf Klima & Nachhaltigkeit aus; Open Hardware stärkt den Wissenstransfer und fördert die kritische Auseinandersetzung mit Technologien. Damit sich alle Menschen selbstbestimmt und kritisch mit der Nutzung digitaler Medien und Technik auseinandersetzen können, setzt sich die OKF dafür ein, dass prinzipiell auf freie Bildungsmaterialien (Open Educational Resources, OER) gesetzt wird. Offene Technologiebildung forderten wir neben anderen Prinzipien der Offenheit und Partizipation auch in einer Stellungnahme zur ➠Zukunftsstrategie Forschung und Innovation des BMBF.
Nach der Gründung im letzten Jahr legte unser ➠Bündnis F5 in diesem Jahr mit der Arbeit richtig los und etablierte das regelmäßige Format eines parlamentarischen Frühstücks. Ziel der Reihe ist ein regelmäßiger digitalpolitischer Austausch mit Bundestagsabgeordneten, ihren wissenschaftlichen Mitarbeiter:innen und den zuständigen Referent:innen der Bundestagsfraktionen für die Chancen und Herausforderungen der digitalen Zukunft. Die Themen der vier parlamentarischen Frühstücke reichten vom Digital Services Act, dem Transparenzgesetz, Open Data, Gewaltschutz im Internet bis zur Chatkontrolle. Ein weiteres Ziel unserer Arbeit ist die strukturelle Einbindung und gleichberechtigte Teilnahme der Zivilgesellschaft an digitalpolitischen Prozessen. Die Zukunft der Digitalpolitik ist zu wichtig, um sie nur aus gewinnorientierter Unternehmenssicht zu diskutieren! Diesen Aspekt stellten wir in unserem ➠kritischen Kommentar zum Digitalgipfel in den Fokus.
Die strukturelle Einbindung der Zivilgesellschaft in die Digitalpolitik ist auch unsere Motivation an den zahlreichen Stakeholdermeetings und -dialogen teilzunehmen, zu denen wir eingeladen wurden (u.a. Stakeholderdialog Datenkompetenz (BMBF), Stakeholderbeteiligung zur Festlegung von Eckpunkten eines Mobilitätsdatengesetzes (BMDV), Workshop zum Dateninstitut (BMI)).Zudem ist unsere Geschäftsführerin Dr. Henriette Litta als Mitglied in den ➠Digitalbeirat der Bundesregierung berufen worden. Wir begrüßen die Bemühungen, dass zivilgesellschaftliche Akteur:innen vermehrt angehört werden. Es braucht aber mehr Austausch und Verbindlichkeit, um eine echte strukturelle Beteiligung zu erreichen.